Von Zeit zu Zeit stehen Entwickler vor der Herausforderung, ihre Software mit etablierten Lösungen verbinden zu wollen - um dann festzustellen, dass der Hersteller keine ausreichenden Schnittstelleninformationen bereitstellt. Die entscheidende Frage lautet dann: Darf der Code jetzt ungefragt „auseinandergenommen “ werden, um Interoperabilität herzustellen?
§ 69e UrhG regelt diesen Spagat zwischen Geheimnisschutz und Wettbewerbsfreiheit recht detailliert. Die Vorschrift gestattet dem Lizenznehmer eine begrenzte Dekompilierung des lizenzierten Programmcodes, allerdings nur unter engen Voraussetzungen: Es muss um die Herstellung von Interoperabilität gehen, die Analyse muss sich auf die absolut notwendigen Code-Teile beschränken und die benötigten Informationen dürfen nicht anders verfügbar sein.
Bezüglich der Verfügbarkeit stellt sich stets eine Frage: Muss der Hersteller vor der Dekompilierung kontaktiert werden? Die Rechtsprechung schweigt dazu, die Literatur ist gespalten. Dass die Frage noch nicht höchstrichterlich geklärt ist, kann darauf zurückzuführen sein, dass Hersteller die Schnittstelleninformationen oft auch freiwillig offenlegen, um von vornherein ein Dekompilieren zu verhindern.
§ 69e UrhG ist als Ausnahmevorschrift eng auszulegen. Es hilft auch nicht, dass Reverse Engineering nach § 3 GeschGehG grundsätzlich erlaubt ist, da es sich bei § 69e UrhG um die speziellere Norm handelt und damit urheberrechtliche Leitplanken setzt. Ohne vorherigen Kontaktversuch könnte der von der Vorschrift intendierte Geheimnisschutz unterwandert werden. Praktisch ist eine Anfrage beim Hersteller aber gar nicht so einfach. Wer findet schon schnell den richtigen Ansprechpartner? Und was, wenn die Antwort nur unvollständig kommt?
In der Praxis empfiehlt sich daher ein pragmatisches Vorgehen: Ein formeller Kontaktversuch in Textform mit angemessener Frist (etwa 14 Tage) sollte unternommen werden. Verlangt der Hersteller für die Schnittstelleninformationen ein Entgelt oder verweigert er die Herausgabe komplett, stärkt dies die Rechtfertigung für eine anschließende Dekompilierung – schließlich sind die Informationen dann nicht "ohne Weiteres" verfügbar.
Im Übrigen hilft vielleicht auch das Kartellrecht. Zumindest bei marktbeherrschender Stellung wird auch an wettbewerbsrechtlichen Vorgaben zu messen sein, ob eine grundlose Verweigerungshaltung hingenommen werden muss.