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Verstöße gegen den Datenschutz können auch vor Zivilgerichten verfolgt werden
Wir setzen unseren Beitrag zur Pressemitteilung (Nr. 059/2025) des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 27. März 2025 fort und werfen einen Blick auf die Sachverhalte, die hinter den BGH-Urteilen I ZR 222/19 und I ZR 223/19 zur Klagebefugnis von Wettbewerbern stecken.

Wir setzen unseren Beitrag zur Pressemitteilung (Nr.059/2025) des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 27. März 2025 fort und werfen einen Blick auf die Sachverhalte, die hinter den BGH-Urteilen I ZR 222/19 und I ZR 223/19 zur Klagebefugnis von Wettbewerbern stecken.

In beiden Verfahren wurden dem BGH ähnliche Sachverhalte präsentiert: Ein Apotheker vertrieb sein Sortiment, das auch apothekenpflichtige Arzneimittel einschließt, über die Internet-Verkaufsplattform Amazon Marketplace. Ein anderer Apotheker sah hierin einen Verstoß gegen das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG), weil dieser Vertrieb mit einer Verarbeitung von Gesundheitsdaten im Sinne von Art. 9 (1) EU-Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) einhergehe. In diese Verarbeitung hätten die Kunden nicht ausdrücklich eingewilligt. Die DSGVO-Bestimmungen seien als Marktverhaltensregeln im Sinne des UWG anzusehen. Der BGH hatte beide Verfahren zunächst ausgesetzt und an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) die folgenden Fragen gerichtet:

1.     Ist ein Wettbewerber klagebefugt oder sind die in der DSGVO enthaltenen Vorschriften zur Durchsetzung ihrer Bestimmungen (welche keine Klagebefugnis von Wettbewerbern enthalten) abschließend?

2.    Sind die Daten, die die Kunden bei der Online-Bestellung von apothekenpflichtigen, nicht aber verschreibungspflichtigen Arzneimitteln eingeben müssten, Gesundheitsdaten im Sinne von Art. 9 (1) DSGVO?

Der EuGH entschied hierzu am 04.10.2024 in der Rechtssache C‑21/23:

1.  Die Regelungen der DSGVO stehen einem Unterlassungsanspruch eines Wettbewerbers wegen Vornahme einer unlauteren Handlung nach §§ 8 (1), (3) Nr. 1, 3 UWG nicht entgegen. Die EU-Mitgliedstaaten dürfen die nationalen Rechtsdurchsetzungsmöglichkeiten erweitern, auch über die in der DSGVO enthaltenen Regelungen hinaus.

Insoweit stellte der EuGH klar, dass bei der Auslegung einer unionsrechtlichen Vorschrift nicht nur ihr Wortlaut, sondern auch ihr Kontext und die Regelungsziele zu berücksichtigen sind.

Der EuGH nutzte die Gelegenheit – wie schon in einer seiner Meta-Entscheidungen (EuGH-Urteil vom 28. April 2022, C‑319/20) – zum Wettbewerb zwischen Unternehmen der digitalen Wirtschaft Stellung zu nehmen. Er hob hervor, dass der Zugang zu personenbezogenen Daten und die Möglichkeit ihrer Verarbeitung zu einem bedeutenden Parameter des Wettbewerbs geworden sind. Um der tatsächlichen wirtschaftlichen Entwicklung Rechnung zu tragen und einen lauteren Wettbewerb zu wahren, sei es daher möglich, bei der Durchsetzung des Wettbewerbsrechts auch auf die Datenschutzvorschriften abzustellen. Insbesondere weil die Möglichkeit eines Wettbewerbers, auf Unterlassung eines angeblich begangenen Datenschutzverstoßes zu klagen, die praktische Wirksamkeit der Datenschutzanforderungen sogar verstärke und damit das mit der DSGVO angestrebte hohe Schutzniveau verbessere. Insoweit trete die Klagemöglichkeit der Wettbewerber neben die DSGVO-Rechtsbehelfe der Betroffenen.

2.  Wenn aus den Daten zum Erwerb von Arzneimitteln Rückschlüsse auf den Gesundheitszustand einer Person gezogen werden können, sind sie als Gesundheitsdaten im Sinne der DSGVO einzuordnen.

Hierzu führte der EuGH aus, dass aus den Daten, die ein Kunde bei der Bestellung von apothekenpflichtigen Arzneimitteln über eine Onlineplattform eingebe, mittels gedanklicher Kombination oder Ableitung auf den Gesundheitszustand der betroffenen Person geschlossen werden könne. Eine Bestellung ermögliche insoweit eine Verbindung zwischen einem Arzneimittel, seinen therapeutischen Indikationen und Anwendungen und einer identifizierten oder durch Angaben wie den Namen oder die Lieferadresse identifizierbaren natürlichen Person.

Um ein hohes Schutzniveau für Gesundheitsdaten zu gewährleisten, sei hierbei unerheblich, ob die Datenverarbeitung auf die Verarbeitung von Gesundheitsdaten abziele oder die verarbeiteten Informationen richtig seien. Eine Verarbeitung von Gesundheitsdaten sei auch dann gegeben, wenn ein Nutzer einer Onlineplattform bei der Bestellung von apothekenpflichtigen, aber nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln personenbezogene Daten übermittele. Dabei komme es nicht darauf an, dass er dabei offenlege, ob die Bestellung für sich selbst oder eine andere Person erfolge. Hierzu erklärte der EuGH ergänzend, dass – wenn solche Arzneimittel für andere Personen als die Kunden bestellt werden – sich nicht ausschließen lasse, dass ein Bezug zu dieser Person hergestellt werden könne. Dies beispielsweise, wenn die Arzneimittel nicht an den Wohnort des bestellenden Kunden geliefert werden, sondern an den Wohnort eines Dritten.

In Umsetzung der EuGH-Rechtsprechung entschied der BGH, dass Art. 9 Abs. 1 DSGVO eine Marktverhaltensregelung im Sinne von § 3a UWG sei, so dass der Verstoß gegen diese Vorschrift von einem Mitbewerber gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG auf dem Klagewege verfolgt werden könne.

Neben der Bejahung der Klagebefugnis von Wettbewerbern dürfte vor allem die Einordnung der „Bestelldaten“ als Gesundheitsdaten Auswirkungen auf die Praxis haben. Denn wenn nunmehr alle personenbezogenen Daten, die im näheren Zusammenhang mit Gesundheitsdaten erhoben werden, in den Schutzbereich des Art. 9 DSGVO fallen, müssten viele Verarbeitungsprozesse neu bewertet und angepasst werden. Aber ist dies tatsächlich von der Rechtsprechung gewollt? Betroffen wären etwa Videoaufzeichnungen im Eingangsbereich von Arztpraxen, Apotheken oder Krankenhauseinfahrten. Oder dürfen die Entscheidungen am Ende doch enger ausgelegt werden? – Die künftige Praxis von Behörden und Gerichten wird es zeigen.

Anja Hillig, Salary Partnerin